Vor dem Hintergrund des anstehenden Bundesliga-Eröffnungsspiels, zwischen dem amtierendem Meister Bayern München und Bayer 04 Leverkusen, habe ich den Bayern-Fan, Blogger und künftigen Buchautoren, Justin Kraft interviewt. Er ist auch unter dem Synonym Lahmsteiger bekannt.
Autor: Hey Justin, am Freitag steht ja das Bundesliga-Eröffnungsspiel zwischen dem FC Bayern und Bayer04 an. Wie schätzt du dann die Form des FCB’s ein?
Justin: Hey, das lässt sich nach der doch sehr schwierigen Vorbereitung nicht eindeutig einschätzen. Beim Telekom Cup war der FC Bayern zunächst in beeindruckender Frühform. Dann kam die Asientour, wo die Münchner zwei ordentliche (Arsenal und Chelsea) sowie zwei sehr schwache Partien ablieferten (Inter und AC Mailand). Direkt nach der Rückkehr hagelte es eine Klatsche gegen Klopps Liverpool, die allerdings auf die Müdigkeit der Spieler geschoben werden kann. Im Supercup und auch in der ersten Pokalrunde sah man schließlich, dass zwar noch nicht alles passt, die Mannschaft aber durchaus auf einem Weg ist, der akzeptabel ist. Ich rechne also fest damit, dass die Bayern das Geschehen am Freitag in die Hand nehmen wollen und können.
Wen erwartest du in der Startformation der Bayern am Freitag? Wird es personelle Änderungen im Vergleich zum Pokalspiel gegen Chemnitz geben?
Das hängt auch davon ab, wer von den Verletzten zurückkehren kann. Ich rechne aber damit, dass Neuer und Alaba wieder verfügbar sein werden. Robben machte sein Comeback ja bereits im Pokal gegen den Chemnitzer FC. Das Grundsystem wird Carlo Ancelottis 4-2-3-1 sein. In der Viererkette sind Kimmich, Süle und Hummels derzeit wohl gesetzt. Je nachdem wie fit Alaba ist, wird entweder er oder Rafinha auflaufen. Friedl machte zwar auf sich aufmerksam, erhält aber leider noch nicht das Vertrauen. Auf der Doppelsechs rechne ich eigentlich fest mit Rudy, der einen hervorragenden Einstand hatte. Thiago war zuletzt ebenfalls verletzt und somit wird es für ihn eng. Die zweite Sechserposition wird dementsprechend zwischen Tolisso und Vidal entschieden, wobei letzterer mehr Kredit beim Trainer haben dürfte. Für Sanches sehe ich zumindest am 1. Spieltag keinen Platz. In der Offensive gibt es für Ancelotti wahrscheinlich keine Alternative zu Ribéry, Müller, der eine sehr starke Vorbereitung hatte, Robben und Lewandowski. Coman würde ich den Startelfeinsatz statt Robben wünschen, weil er in den letzten Spielen mit viel Selbstvertrauen agierte. Mein Gefühl sagt mir aber, dass der Niederländer beginnt.
Du hast die Vorbereitung des FCB’s bereits angesprochen: Was muss noch besser werden? Was läuft schon gut?
Unter Ancelotti darf man keine großartigen taktischen Sprünge erwarten. Seit der Italiener Trainer ist, hat der FC Bayern immer wieder Schwächen im Positionsspiel offenbart und wurde somit anfälliger für Drucksituationen und Abspielfehler. Grundsätzlich gilt es deshalb, die Form der Spieler zu stärken und schließlich die motivierteste und beste Elf aufzustellen. So simpel das klingen mag: Die individuelle Klasse muss am Maximum sein, wenn man diese Saison nicht nur erfolgreich, sondern sehr erfolgreich gestalten möchte. Besser werden muss trotzdem das Anbieten von Lösungen im eigenen Ballbesitz. Im Ansatz hat mir das tatsächlich ohne Alaba und Vidal zuletzt am besten gefallen. Rudy, Süle, Kimmich, Tolisso und der scheinbar wiedererstarkte Müller machten einen sehr positiven Eindruck auf der rechten Seite des Spielfelds und sorgten sowohl für viele sichere und sehenswerte Kombinationen, als auch für viele Dreiecke und Verbindungen auf dem Platz. Mit ihnen könnte Ancelotti sein vertikaleres Spiel vielleicht eher umsetzen, als in der vergangenen Saison.
Ich denke die nächste Frage muss ich da kaum stellen: Du hast letzte Saison oft kritisiert, dass Ancelotti taktisch nicht flexibel genug wäre. Hat sich da etwas geändert?
Wie schon gesagt, muss man da seine Erwartungen etwas runterschrauben. Das hat bei mir auch lange Zeit gedauert, weshalb ich Ancelotti da stellenweise auch Unrecht getan habe. Der Italiener wurde nicht für das Aufrechterhalten der taktischen Flexibilität geholt, sondern dafür, um aus den älteren Spielern des Kaders nochmal das Maximum rauszuholen. Ihn in der Hinsicht an Guardiola zu messen, wäre unfair. Für mich persönlich gehen Taktik, System, Entwicklung und Erfolg Hand in Hand. Bayern wollte aber scheinbar jemanden, der für Ruhe, Abgeklärtheit und Menschenführung steht. Ich denke, dass Ancelotti mit seiner Art durchaus erfolgreich sein kann. Zwar halte ich ihn nicht für den richtigen Trainer für den Umbruch, der jetzt immer wichtiger wird, aber dafür kann er persönlich recht wenig. Die Entscheidung hat der Verein getroffen. Ich glaube dennoch, dass ihm der große Wurf in dieser Saison gelingen kann. Dafür muss er aus seinen Fehlern der vergangenen Spielzeit lernen. Dazu zählte vor allem, dass er zu wenig rotierte. In der entscheidenden Phase hatte Ancelotti nur 12-13 Spieler in guter Verfassung, während der Rest ob der wenigen Einsätze überfordert war, wenn es zu Wechseln oder Verletzungen kam. Ancelotti wird auf mindestens 15-16 Spieler bauen müssen, die im Endspurt der Saison dann Topform haben. Nur dann besteht eine Chance auf den ganz großen Erfolg in der Champions League. Insgesamt wünsche ich mir nach der Zeit des Italieners aber einen Trainer, der wieder taktisch flexibler agiert und für die jungen Talente im Kader förderlicher ist. Auch in Verbindung mit der aktuellen Qualitätssteigerung im Jugendbereich wäre ein solcher Trainer sinnvoller.
Welche Formation und welches System sollte dieser denn einmal ausprobieren, wenn es nach dir ginge?
Wichtig ist gar nicht, welche Formation am Ende auf dem Spielberichtsbogen steht. Ich würde einfach gerne sehen, dass beim FC Bayern eine klare Linie zu erkennen ist. Das gilt sowohl für die Geschehnisse auf dem Spielfeld, als auch für die neben dem Platz. Seit Louis van Gaal steht der Rekordmeister für dominanten Ballbesitzfußball und ich glaube, dass der Kader auch kaum etwas anderes hergibt als das. Daher braucht es einen Trainer, der diese Philosophie vertritt und den Münchnern wieder mehr Lösungswege für kritische Situationen an die Hand gibt. Unter Pep Guardiola hatte man das Gefühl, dass die Mannschaft als Konstrukt fast immer in der Lage war, auf jede schwierige Spielsituation eine Antwort zu haben. Das war beeindruckend. Ich brauche keinen wöchentlichen Systemwechsel und es muss auch kein absoluter Nerd wie Guardiola sein, aber ich wünsche mir jemanden, der in der Lage ist, auf verschiedene Gegner und veränderte Situationen zu reagieren. Jemanden, der mit Veränderung, Wandel, Entwicklung und Anpassung versucht, äußere Faktoren zu minimieren und die Wahrscheinlichkeit auf Erfolg so zu maximieren.
Welcher Spieler der Bayern wird nächste Saison viele Fans überraschen?
Ich sage das schon seit der Transfer bekannt geworden ist: Sebastian Rudy. Als der Wechsel bestätigt wurde, habe ich von sehr vielen Rode-Vergleichen gelesen und mir an den Kopf gepackt. Rudy hat in Hoffenheim unter Beweis gestellt, dass er herausragende strategische und technische Fähigkeiten mitbringt. Ja, er ist ähnlich flexibel einsetzbar wie Rode, aber das ist die einzige Gemeinsamkeit. Rudy wird Thiago entlasten und Vidal mächtig unter Druck setzen. Manchmal kosten Königstransfers eben keine 222 Millionen Euro, sondern gar keine Ablösesumme. Ich freue mich auf ihn und rechne fest damit, dass er Ancelotti im Laufe der Saison keine andere Wahl lassen wird, als ihn aufzustellen.
Im November erscheint das Buch ,,111 Gründe für den FC Bayern München“, welches du mit einem Freund und Autoren-Kollegen zusammen geschrieben hast. Wie ist das ein Buch zu schreiben? Wo unterscheiden sich für einen Fußball-Autoren Bücher von Blogs?
Natürlich sehe ich das als eine großartige Chance und es macht sehr viel Spaß. Das Buch ist noch in Arbeit, befindet sich aber bereits in den letzten Zügen. Der größte Unterschied ist in jedem Fall, dass die vielen Einzeltexte einen Gesamtzusammenhang ergeben müssen. Das ist bei der 111-Gründe-Serie zwar etwas einfacher als bei einer langen Geschichte oder ähnlichem, aber grundsätzlich ist es schon eine andere Nummer als ein Artikel.
Bei Mia San Rot greift ihr immer wieder auch taktische Aspekte auf, was euch zumindest für mich persönlich zu etwas ganz besonderem macht. Sollte sich die Fußballberichterstattung künftig generell eher in diese Richtung entwickeln?
Ich glaube, dass man bedenken muss, dass der Großteil der Fans Fußball eher als simple Sportart sieht und wenig Interesse an komplexen taktischen Prozessen hat. Auf der anderen Seite würde ich mich freuen, wenn sich die Fußballberichterstattung mit mehreren Facetten beschäftigen würde und zumindest der Versuch gestartet werden würde, das kritische Publikum davon zu überzeugen. Ein Mittelweg aus Taktik, Unterhaltung und Geschichten rund um das Spiel wäre schön. Einige haben da auch schon ganz gute Ansätze bewiesen.
Kannst du uns da ein oder zwei Beispiele nennen?
Erik Meijer wird bei Sky für seine Analysen von Nerds häufig belächelt. Im Ansatz finde ich aber, dass das ein gutes Konzept ist. Er verbindet eine lustige Art mit einigen Grundkompetenzen aus dem taktischen Bereich. Allgemein leistet Sky mit verschiedenen Experten am runden Tisch vor den Champions-League-Abenden gute Arbeit. Ähnlich ist das mit Holger Stanislawski im öffentlich-rechtlichen Fernsehen der Fall. Wenn Experten eine gute Mischung aus Unterhaltung, Fachwissen und Erfahrung anbieten können, empfinde ich das als optimal.
Zwei Fragen habe ich noch: Wie kann Bayer Bayern schlagen und wie tippst du, wird das Spiel am Freitag ausgehen?
Indem sie die Bayern im Aufbauspiel unter Druck setzen, ohne damit große Lücken in der eigenen Formation zu öffnen. Das klingt natürlich einfacher als es ist. Bayerns Spiel ist dann verwundbar, wenn man den Übergang vom ersten ins zweite Drittel stören, dort Balleroberungen verbuchen und schließlich schnell umschalten kann. Steht Leverkusen kompakt, aber dennoch hoch und kann die Werkself die wichtigen ersten Pässe stören, so haben sie eine gute Chance auf einen Erfolg. Ich rechne aber damit, dass Bayern mit der bereits erwähnten starken rechten Seite auflaufen und dort die nötige Sicherheit aufweisen wird. Stimmt zusätzlich die Chancenverwertung, glaube ich – bei allem Respekt – an eine deutliche Nummer. Bayern wird 3:1 gewinnen.
Vielen Dank für das Interview, Justin!
Vielen Dank nochmal an dich Justin, für das Interview. Falls ihr mehr von Justins Meinungen und Analysen lesen wollt, schaut unter http://www.miasanrot.de/author/justin nach oder folgt ihm auf Twitter unter @LahmsteigerDE .